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Wege zum Welterbe Niedergermanischer Limes

Kulturwanderung in Xanten

Früher Herrschaftswahrer, Baukunstwunder und Machtdemonstrant. Heute Denkmalverbinder, Geschichtsriese und UNESCO-Welterbestätte: Der Niedergermanische Limes trennte ab 15 v. Christus die römische Provinz Niedergermanien vom freien Germanien. Für über 450 Jahre zog sich die rund 400 Kilometer lange Flussgrenze von Rheinland-Pfalz bis an die niederländische Nordsee. Sie entsprach dem damaligen Verlauf des Rheins.

An den Ankerpunkten gründeten die Römer Kastelle, Heerlager und urbane Lebensräume. Sie schufen ein einmaliges Netzwerk, das einer unüberwindbaren Verteidigungslinie mit florierenden Zentren gleichkam. Menschen lebten, handelten und arbeiteten hier.

Doch wie sich der unvergleichlichen Perlenschnur mit ihren heutigen Bodendenkmälern, Straßenzügen und Gebäuderesten nähern, die auf einem 220 Kilometer langen Teilstück auch durch Nordrhein-Westfalen führt? Der Kulturkenner macht sich auf Spurensuche in Xanten – dem wohl besten Ort, um eine Entdeckerreise in die Römerzeit zu beginnen.



Startpunkt Bahnhof

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In Xanten erzählen sichtbare Siedlungsstrukturen und herausragende Fundstücke von der römischen Stadt Colonia Ulpia Traiana (CUT) und dem Heerlager Castra Vetera I auf dem Fürstenberg. Beide zählen zu den 44 archäologischen Fundorten des 2021 ausgezeichneten Welterbes. Hier schlüsselt der LVR-Archäologische Park Xanten (APX) mit dem Limes-Pavillon, der römischen Schiffswerft und dem LVR-RömerMuseum die Entwicklung am Niedergermanischen Limes auf. Die musealen Orte machen auch sichtbar, welche Schätze sich noch tief unter Erdschichten verbergen.

Der Rucksack ist gepackt, die Schuhe sind geschnürt, das Handy ist geladen und der Streckenverlauf wurde via GPX-Track in eine Outdoor-App überführt. Es geht also vom Xantener Bahnhof in den Archäologischen Park, dann in die Altstadt zum St. Viktor Dom, dem Verehrungsort eines römischen Hauptmanns, der wegen seines christlichen Glaubens hingerichtet wurde, um schließlich am Standort des früheren Heerlagers Castra Vetera I auf dem Fürstenberg auszukommen.





Somit kann die rund acht Kilometer lange Kulturwanderung losgehen. Es sind nur wenige hundert Meter bis zum APX-Eingang am LVR-RömerMuseum. Der monumentale Bau gerät mit seiner spektakulären Fassade aus verglasten Stahlpaneelen und Fenstern sowie dem roten Blechsatteldach bereits nach kurzer Zeit ins Blickfeld.

Doch dazu später mehr.











Wow! Was für eine Begrüßung! Ob das gefiederte Empfangskomitee jeden Gast so willkommen heißt? Der Vogelzug gibt die Richtung zum Limes-Pavillon vor, dem ersten Haltepunkt auf der rund achtstündigen kulturellen Tagestour.

Von außen wirkt das dunkle Schaugebäude relativ unscheinbar. Würfelartiger Aufbau, schwarze Fronten und große, abgedeckte Fenster. Ein Blickpunkt auf der sonst grünen, römischen Allee.



Nur der Schriftzug „Der Limes am Niederrhein“ weist auf die spannende Ausstellung im Innern hin, die mit einer begehbaren Limes-Landkarte, detailgetreuen Modellen und zehn interaktiven Ausstellungstischen zu punkten weiß. Sie sind zehn Welterbe-Fundplätzen im Umland des heutigen Xanten gewidmet.

Die Stationen informieren etwa mit Textbausteinen, historischen Bildern und Grafiken über Legionsmanöver, Rheinquerungen und Einzelschicksale römischer Soldaten wie Verbündeter.

Dabei behandelt die Schau auch das Leben und den Tod des Gaius Julius Primus, der in einer Reitereinheit diente, die zeitweise in dem römischen Militärlager Burginatium im heutigen Kalkar-Altkalkar stationiert war. Der Mann, der sieben Jahre Militärdienst leistete und im Alter von 27 Jahren starb, gehörte dem Stamm der Treverer an, einem gallischen Stamm, der in der Umgebung von Trier beheimatet und für seine Pferdezucht bekannt war.

Im Limes-Pavillon führt Gaius Julius Primus virtuelles Abbild Besuchende mit fester Stimme in die Ausstellung ein. Der Militärexperte in blau-weißer Tunika erklärt in einem Kurzfilm, was der Niedergermanische Limes eigentlich genau war und welche Funktion er erfüllte.

Wer mehr über den Mann erfahren möchte, sollte im Anschluss den kolorierten Abguss seines Grabsteins mit Inschrift genauer untersuchen. Es lohnt sich, auf die Details zu achten.



Auch APX-Sprecherin Bianca Kühlborn empfiehlt den Besuch des Limes-Pavillons als Einstieg in die Welt der Römer am Rhein. Die gelernte Archäologin zeigt Gästen gerne anhand der Bodenkarte und der Ausstellungstische, wo einzelne Legionslager, Kastelle und römische Heiligtümer positioniert waren. An der Station zu Castra Vetera I bleibt sie stehen, um die Schubladen und Klappen zu öffnen. „Anfassen ist eindeutig erwünscht. Hier kann etwa die Zerstörung des Lagers im Jahr 70 n. Christus und der Wiederaufbau im heutigen Gebiet der Bislicher Insel nachvollzogen werden.“

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Weitere Höhepunkte der Schau erkennt die Geschichtsexpertin in einer übersichtlichen Schauwand, die die Größen militärischer Einrichtungen am Niedergermanischen Limes wiedergibt, sowie einem interaktiven Bildschirm, auf dem sich Gäste Legionäre mit ihrer Ausrüstung im Wandel der Jahrzehnte anschauen können.

Welche Ausmaße hatte Castra Vetera I?

Castra Vetera I wurde 12 v. Christus gegründet. Gegen 60 n. Christus war das Doppellegionslager eines der größten römischen Heerlager bis es um 70 n. Chr. dem Aufstand der germanischen Bataver zum Opfer fiel. In der letzten Bauphase hatte eine Größe von 900 x 600 Metern. Zu dieser Zeit beherbergte es die römischen Legionen X und die XV.

Wenn die Römer entlang des Rheines ihre Zelte aufschlugen, um das Grenzgebiet vor Feinden zu sichern, dann fuhren sie von ihren Stützpunkten aus auch über den Rhein, um einzelne Abschnitte zu bewachen, Waren oder Einheiten zu transportieren. So viel ist gewiss. Doch wie sahen die Boote aus, die damals von den Truppen der Weltmacht genutzt wurden?

Mit dieser Frage macht sich der Kulturkenner auf in die römische Schiffswerft und Holzwerkstatt, in der bereits sechs Boote nach originalgetreuem Vorbild nachgebaut wurden. Sie alle stammen aus unterschiedlichen Zeitepochen. Sie alle erfüllten verschiedene Funktionen…



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Im Innern fällt der Blick als erstes auf den detailgetreuen Nachbau, die Nehalennia, die moderne Schwester des römischen Plattbodenschiffes aus Xanten-Wardt, dessen Wrack für Gäste im LVR-RömerMuseum ausgestellt ist. Was für eine Schönheit dieser Kahn doch zu seiner Zeit um circa 100 n. Christus gewesen sein muss!

Das Schiff wurde als erstes von den sechs Schiffen im Jahr 2014 rekonstruiert. Die Liebe zum Detail ist unverkennbar.

Zu der Rheinflotte des Archäologischen Parks gehören zudem die Schiffe Philemon und Baucis, zwei Einbäume für den Fischfang, die Minerva Tritonia, ein Lastensegler aus dem späten 3. Jahrhundert mit historischem Vorbild aus Mainz, sowie die Quintus Tricensimanus, ein römisches Patrouillenboot, das ursprünglich entlang der Flussgrenze des römischen Imperiums im 4. Jahrhundert n. Christus fuhr. Als sechster und letzter Nachbau tritt die Pünte hervor, ein kleines Arbeitsboot und Fährschiff, gestaltet nach einem Fund aus den Niederlanden.

Die Quintus Tricensimanus hat es dem Kulturkenner besonders angetan, schließlich repräsentiert das schnelle und wendige Patrouillenboot die Grenzsicherung am Limes perfekt. Bereits das kleine Modell des spätantiken Schiffs ist mit seinem Mast, dem Segel und den bemalten Schilden mehr als sehenswert. Gut nur, dass der große Bruder im benachbarten Schiffszelt ausgestellt ist, bestaunt und auch angefasst werden kann!

Um die 18 Meter lang und 2,70 Meter breit ist die Lusorie (Tänzerin), wie APX-Sprecherin Bianca Kühlborn erklärt. Sie zeugt von Eleganz und Beweglichkeit, umso mehr in originaler Größe. Rund zwei Jahre dauerte die Rekonstruktion des Bootes, das 26 Personen mit Rudern fassen kann. Schiffsbaumeister schufen es auf Grundlage von Mainzer Wrackfunden. 3000 Nägel halten nun Bordplanken, Spanten und Ruderbänke zusammen.

Auch seine Probe aufs Exempel hat das Patrouillenboot bereits bestanden: Erst kürzlich – genauer gesagt zwischen dem 22. und 30. Juni 2024 – ließ das APX-Team es zu Wasser. Nach der Taufe schwangen zwei Reenactment-Gruppen mit interessierten Gästen die Ruder. Das Schiff setzte Segel. Es bahnte sich seinen Weg über die Xantener Südsee. Ideal, würden Geschichtsfans sagen, verlief der Rhein als „nasse Grenze“ damals doch an gleicher Stelle!



Apropos Geschichtsfans: Diese kommen nach der Visite des Schiffszeltes natürlich auch im LVR-RömerMuseum auf ihre Kosten, das auf den römischen Grundmauern der Basilika Thermarum (Eingangshalle des Stadtbades) errichtet worden ist und zahlreiche Originalfunde aus der römischen Stadt Colonia Ulpia Traiana beherbergt.

Es schlüsselt die Geschichte des römischen Xanten gekonnt anhand einzelner Themen auf, darunter die Alltagskultur, das Handwerk oder die Wirtschaft. Limes-Interessierte erfahren hier zudem mehr über die römische Armee und die Wehrhaftigkeit des römischen Reiches an seiner Außengrenze.



Der Rundgang beginnt im Erdgeschoss des Museums bereits mit der Sicht auf Legionärshelme unter einem Bogengang-Kabinett. Sie stehen hier stellvertretend für zehntausend Soldaten, die den Xantener Raum um 12 v. Christus auf einen Schlag bevölkerten. Im Zuge der großen Rheinoffensive unter Kaiser Augustus wurden der Fürstenberg und das nahegelegene Umland besiedelt. Die Vorstellung der Besiedlung unterstützt eine Hörreise in Latein. Sie verdeutlicht, wie fremdartig die Sprache für die Einheimischen geklungen haben mag.

Der Colonia Ulpia Traiana verlieh Kaiser Marcus Ulpius Traianus nebenbei erst 98 n. Christus die Stadtrechte. Bis dahin entwickelte sich die neu entstandene Siedlung fort, wuchs und wuchs.

Ein Modell, das die Stadt als Architekturwunder in ihrer Blütezeit im 2. Jahrhundert n. Christus zeigt, finden Besuchende auf der ersten Ebene der Ausstellung. Wichtige Gebäude wie den Hafentempel, das Amphitheater oder Stadtbad können Gäste hier ausmachen.

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Aber erstmal zurück ins Erdgeschoss: Hier wartet ein eindeutiger Ausstellungshöhepunkt auf Zeitreisende, die sich dem Welterbe-Bestandteil Castra Vetera I nähern möchten. Ein Multimediatisch erlaubt es Besuchenden, sich einzelne Straßenzüge und Gebäudekomplexe wie den Legatenpalast oder das Stabsgebäude des ersten Heerlagers in Xanten auf einer virtuellen Karte genauer anzusehen. 3D-Modelle sind frei mit den Händen drehbar. Grundrisspläne, Laserscans und Luftbilder veranschaulichen die Meisterleistung damaliger Architekten. Kurztexte geben Einblicke in Ausgrabungszeiträume und spiegeln wissenschaftliche Erkenntnisse wider.

Wie gut, dass die archäologische Fundgrube auf dem Fürstenberg auch auf der Route des Kulturkenners liegt. Aus ihr stammen einige Museumsexponate. Mal schauen, ob vor Ort noch Spuren römischer Geschichte auszumachen sind und ob später noch genug Puste da ist, um diese wertzuschätzen.

Der Weg im Museum führt erstmal bergauf: Das Gebäude hat – wie sein römischer Vorgänger – keine durchgehenden Geschosse. Es setzt auf schwebende Rampen und Ebenen, die im gewaltigen Innenraum ihr volles Potenzial entfalten.

Spannend sind auf den Wegen einzelne Exponate wie die Büste von Kaiser Marcus Ulpius Traianus (Trajan) oder eine römische Ballista (Handarmbrust), deren Pfeil in einer der Wände eingeschlagen zu sein scheint. Tipp: Genau umschauen!

Auch die römische Reiterfigur kann sich sehen lassen; sie sorgte bereits bei der Landesausstellung „Roms fließende Grenzen“ 2021/2022 für großes Aufsehen. An ihr können Gäste den Schmuck erkennen, den die Kavallerie im Rahmen von Festlichkeiten trug: vom reich verzierten Maskenhelm bis hin zu Abzeichen mit Abbildung von Göttern oder mythischen Wesen.



Auch der Aufbau einer typischen Colonia wird thematisiert, die immer gleiche Merkmale in der Architektur zeigt. So sind Gebäude wie Thermen, Tempel und Foren Grundpfeiler des städtischen Lebens in der Antike. Jede römische Stadt weist ein geordnetes Raster auf. Es gliedert Häuser und andere wichtigen Strukturen wie Handwerkerbezirke oder kulturelle Anlaufplätze.

In Bezug auf Handwerksarbeiten und die Alltagskultur sollten Museumsbesuchende auf keinen Fall an dem sogenannten „Lüttinger Knaben“ vorübergehen. Die lebensgroße Bronzestatue (Abguss des Originals, das im Berliner Neuen Museum steht) zieht die Aufmerksamkeit nahezu magisch an. Ihm fehlen die Augäpfel, was faszinierend und angsteinflößend zugleich ist.

Sechs Fischer entdeckten die 1,44 Meter hohe Figur 1858 im Ufergelände des Rheins auf Höhe der Ortschaft Bislich. Ursprünglich nutzte eine römische Familie den Knaben als stummen Diener, der Gästen auf einem Tablett Speisen und Getränke darreichte.





Wow! Wie bereits in der Schiffswerft angenommen, ist auch das Schiffswrack eines römischen Prahms mehr als imposant präsentiert: Es scheint in der Luft zu schweben!

Die Planken dunkelbraun bis grau. Ein Seil liegt noch auf dem Deck. Während das Auge von links nach rechts über das Eichenholz gleitet, wird schnell klar, auf dem ursprünglich 14,80 Meter langen Schiff konnten einst große Lasten transportiert werden. Der flache Boden und ein geringer Tiefgang machten es möglich.

Zu guter Letzt noch ein Bad gefällig? Das ist in den römischen Thermen leider nicht mehr möglich. Dafür können Gäste über Stege die Fundamente einzelner Badabschnitte frei erkunden.



Unter roten Stahlpfeilern geht es etwa vorbei am früheren Frigidarium, dem Kaltbad mit einer Fläche von 420 Quadratmetern, und dem Sudatorium, einem kleinen Schwitzraum mit Heizsäulen (Hypocaustpfeiler).

Besonders eindrucksvoll ist der Panoramablick am nordwestlichen Ende der Anlage. Hier sind die unglaublichen Dimensionen der großen Therme erst richtig greifbar.

Wer nun den APX über den Ausgang im Nordosten verlässt und sich entlang der mächtigen Mauer in Richtung der Xantener Altstadt aufmacht, verlässt auf keinen Fall die römische Geschichte. Sie wirkt in großen Teilen auch im Stadtkern nach, erhält neue Ausläufer, die Erzählungen, Sagen und Mythen vom Heiligen Viktor und den Nibelungen prägen.

Wie das zusammengeht, sei an späterer Stelle dieser Multimedia-Story genau erläutert.

Spoiler-Alarm: Siegfried der Drachentöter stammt aus Xanten. Überraschungen warten.

Der Xantener St. Viktor-Dom ist das nächste große Reiseziel auf der Tagestour. Er ist bereits aus der Entfernung durch das Nibelungen-Tor zu erkennen. Als eindrucksvolles Monument rahmt das vom Xantener Bildhauer Christoph Wilmsen-Wiegmanns geschaffene Objekt die Glaubensstätte ein. Ein majestätisches Bild, das seit 2010 von Reisenden genossen werden kann.





Rast-, Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten in historischem Ambiente folgen. Entlang der Stadtmauer flanieren Erkundende zur Kriemhildmühle. Der weithin erkennbare Flügelgigant wurde im 14. Jahrhundert als Wehrturm auf der Stadtmauer angelegt. Seine Funktion wandelte sich im Lauf der Zeit jedoch drastisch: Das Gebäude war einst Wohnung des Nachtwächters, dann Gartenhaus und schließlich Ölmühle.

Heute können Gäste in dem funktionstüchtigen Denkmal etwa Vollwertbrot und -gebäck, Naturkost, Honig aus der Region und andere Bio-Produkte erstehen. Seit 1992 mahlt das Mühlenteam in der Mühle wieder Korn.

An einem Donnerstagmittag im Sommer ist der kleine Laden im Erdgeschoss bereits bis zum Rand mit Kunden gefüllt. Etwas Geduld wird für den Einkauf vorausgesetzt. Es lohnt sich!

Tipp: Wer sein Wegbrot bereits erstanden hat, kann mit einem Pausensnack vor dem nahegelegenen Nibelungenrelief einen Halt einlegen und vier Episoden des Nibelungenliedes in Abbildern bestaunen; so etwa Siegfrieds Aufbruch von Xanten nach Worms.





Weiter geht es entlang der Stadtmauer zum Klever Tor, einer Hinterlassenschaft der historischen Stadtbefestigung aus dem Jahr 1392. Der Turmbau – einst Gefängnis, nun mit drei schmucken Ferienwohnungen ausgestattet – ist bereits von unten ein echter Hingucker. Hier lässt es sich in der Wachstube, Wohnstube und Aussichtsstube aushalten. Ausflüge ins Umland sind von hier aus ideal planbar.

Der Kulturkenner hat leider keine Übernachtung gebucht. Für ihn heißt es, abbiegen und weiter über die Straßen der Altstadt.



Die ersten Eindrücke überzeugen! Schmuck, schick, attraktiv. Herausgeputzt, etwas altmodisch, dabei aber nicht zu altbacken. Kleine Cafés reihen sich aneinander, Kunstgalerien haben für Kulturenthusiasten geöffnet. Klamottenlädchen bieten die neuste Mode und Self-Made-Waren an. Souvenirshops präsentieren Erinnerungsstücke und Mitbringsel vom Schlüsselanhänger bis zum Frühstücksbrett.

Feinschmecker können in vielen Restaurants einkehren und ihren Hunger stillen. Aus der Masse heraus sticht jedoch das Petersielchen auf der Klever Straße, das Veganer-Herzen seit Jahren höherschlagen lässt. Hier kommt an Wochenendtagen internationale Küche auf den Tisch. Die Karte umfasst Speisen vom indischen Gemüsecurry bis zum Rote-Beete-Orangensalat.

Ein Muss für Wandernde auch die Skulpturengruppe „Frauen an der Wasserpumpe“, mit der erneut der Welterbe-Faden in NRW aufgegriffen und weitergesponnen wird. Schließlich zeichnet der Bildhauer Bonifatius Stirnberg für das Werk verantwortlich; er hat auch den Möschbrunnen vor der Welterbestätte Aachener Dom gestaltet.





Typisch römisch wird es dann schließlich erneut im St. Viktor Dom, mit dem sich der Kreis zwischen den Römern, dem Heiligen Viktor, der Nibelungensage schließt. Er liegt im Herzen der Altstadt, nur wenige Gehminuten von den Geschäften und Restaurants entfernt.

Viktor, der als Vorbild für die Figur des Siegfried in der Nibelungensage gedient haben könnte, war Ende des 3. Jahrhunderts römischer Soldat und Führer einer Kohorte der Thebäischen Legion. Nach der Legende wurde er mitsamt seiner Gefährten wegen seines christlichen Glaubens im Amphitheater Xanten-Birten hingerichtet.

Die Ursprünge des Doms gehen auf diesen Viktor zurück. Kaiserin Helena, Mutter Konstantins des Großen, soll seine Überreste später im Bereich der heutigen Glaubensstätte bestattet und eine erste Kapelle dort errichtet haben. Ein Gräberfeld um die Ruhestätte entstand. Der Name Xanten war geboren, da die Verstorbenen bei den Heiligen ruhen sollen – „ad sanctos“.

Gäste, die nun die fünfschiffige Basilika mit monumentaler Doppelturmfassade, die Stiftsgebäude und den Kreuzgang von Nordwesten betreten, fällt als erstes das wunderbar gestaltete Hochkreuz im Innenhof auf. Das Stiftsmuseum liegt direkt ums Eck. Es zeigt Kunst- und Kulturschätze wie Reliquiare, liturgische Geräte, Textilien, Handschriften, Urkunden und Skulpturen. Vor dem Gang ins Heiligste des Doms gleitet das Auge noch über ein Detail am Portal: Das von einer Bischofsmitra gekrönte Papstwappen hängt über der Eingangstür.



In der Kirche selbst zeigen sich französisch-gotische Formen… Sie ist prächtig ausgestattet mit Altären, Skulpturen und Teppichen. Durch die bunten Glasfenster fällt das Licht auf Gläubige, die sich einen Platz auf den ausgestellten Holzbänken suchen.

Touristen, die an der Kirchengeschichte interessiert sind, laufen von einer Ecke des riesigen Kirchenraumes zur anderen, um ja alles auf ihrer Reise gesehen zu haben.

Sie streifen die spätromanische Westchorhalle mit der Orgel, beschauen im Mittelschiff einzelne Skulpturen der Heiligen Drei Könige und der Muttergottes und nehmen im Hochchor den prächtigen Leuchter unter der Decke wahr.

Sie erfahren beim Studieren des ausliegenden Kurzführers: Der Bau der heutigen Kirche begann 1263, zuvor hatte bereits ein Stift mehrfach an gleicher Stelle ein Glaubenshaus errichtet. In der Krypta sollen die wahren Gebeine des Heiligen Viktors und die eines Weggefährten aus Thebäischen Legion liegen. Archäologen fanden 1933 bei Grabungen ein Doppelgrab aus der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts. Eine Pilgerstätte für den Viktor-Kult entstand. Hinein!

Nach der Visite der unterirdischen Gefilde, die 1966 zu einer Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus erweitert wurden, bleibt nur der Weg nach draußen. Luft schnappen, Gedanken ordnen. Ein letzter Blick auf die prächtige Rahmenarchitektur des Südportals mit den hohen Aufbauten und dem bekrönenden Kielbogen beflügelt die Fantasie.

Mit diesen Eindrücken fällt der Weg zum Marktplatz leicht, wo sich der Kulturkenner definitiv eine weitere Pause verdient hat.



Soll es in den Kurpark Xanten mit Gradierwerk und Kneippanlage gehen – salzhaltige Luft atmen und etwas Erholung tanken? Oder gibt es eine Gaumenfreude im Gotischen Haus, das Essen mit regionaler Herkunft vom Bio-Bauern anbietet? Warum nicht beides…

Gut gestärkt und voller Tatendrang kann es dann schließlich weitergehen. Entweder führt der Weg als nächstes direkt zum Fürstenberg, zum Ursprung römischer Limes-Geschichte in Xanten, oder doch erst ins Siegfried Museum, dem Erinnerungsort des Nibelungenliedes, das nebenbei gesagt – als eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur 2009 – auch von der UNESCO eine Auszeichnung erhielt, nämlich den Status des Weltdokumentenerbes.

Das Museum präsentiert anhand von Gemälden, Kostümen und Handschriften, welchen Einfluss die historische Dichtung auf die heutige Welt hat. Es stellt Charaktere vor, die in dem 2400 Strophen umfassenden Epos vorkommen.

Warum der aus Süddeutschland stammende Nibelungendichter seinem Helden die Heimat Xanten zusprach, als er das Lied um das Jahr 1200 schrieb, wird weiterhin in der Wissenschaft diskutiert. Unwahrscheinlich ist es jedoch nicht, dass er den Heiligen Viktor als Vorbild hatte, wurde der römische Soldat in vielen bildlichen Darstellungen des Mittelalters doch als junger Ritter mit Schwert und Lanze dargestellt, zuweilen sogar als Drachentöter ausgewiesen.





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Auf dem Weg zum Fürstenberg kommt schließlich richtiges Wanderfeeling auf. Umgeben von der Natur, setzen sich die Füße nahezu automatisch in Bewegung. Das Rascheln des Windes in den Blättern ist deutlich zu hören. Wegtafeln des archäologisch-historischen Wanderweges ziehen hin und wieder die Aufmerksamkeit auf sich, die noch mehr über die Xantener Geschichte preisgeben. Sie berichten, dass römische Straßen auch im Mittelalter weiter genutzt wurden.

Wichtig ist die Info, dass das südöstlich gelegene Militärlager Castra Vetera I mit der Stadt Colonia Ulpia Traiana durch eine Straße entlang des Flusslaufs verbunden war. Ein weiterer Stein für den Kulturkenner im gedanklichen Limes-Mosaik.

Ein Blick auf die Handy-Karte verrät, es ist nicht mehr weit bis zur ursprünglichen Lagerposition. Ein kurzer Zwischenabstecher zur Fürstenbergkapelle sollte jedoch noch drin sein…





Endlich am Zielpunkt angekommen, bleibt Zeitreisenden aktuell nur die Vorstellungskraft. Hier haben Titus, Markus und Gaius also ihren täglichen Wachdienst verrichtet, für Schlachten trainiert und ihr Leben auf den Lagerstraßen gelebt. Das geistige Bild von einem der größten Legionslager seiner Zeit nimmt Form an. Gestärkt durch die vielen Informationen, die tagsüber aufgesogen werden konnten, manifestieren sich die Umrisse von Mauern, Türmen, Gräben, Mannschaftsbaracken, Krankenstationen, Getreidespeichern und Vorratskammern vor dem geistigen Auge.

Leider ist bis auf Felder mit Kornähren, Gestrüpp und Wildwuchs am Wegesrand nichts zu sehen.



Eventuell ändert sich das aber in Zukunft noch. AR/VR-Technik könnte hier wunderbare Einblicke in die Vergangenheit ermöglichen, Bodendenkmäler sichtbar machen und für ein passendes Römer-Gefühl sorgen.

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Auch das Amphitheater Xanten-Birten gehörte zum Heerlager Castra Vetera I. Damalige Baumeister errichteten es in einer Holz-Erde-Bauweise. Es hatte die Form einer Ellipse und konnte etwa um die 6000 Gäste fassen. Hier soll der Heilige Viktor sein Martyrium erlitten haben.

Der Legende nach verlieh der römische Christ dem Schauplatz seine damalige Ausprägung mit seinem Schwert. Er zog es und bildete mit ihm ein Kreuz über dem Berg, was zum Barsten des Hügels führte. So sind nach der Überlieferung die Eingänge des Amphitheaters entstanden. Geschichtsschreibung und Legendenwelten wirken in dieser Erzählung eindeutig zusammen.

Das Amphitheater gibt es nach wie vor. Die Erdwälle der ehemaligen Zuschauerränge aus antiker Zeit haben die Zeiten als sichtbare Spuren überdauert. Seit 1924 wird der Schauplatz mit zeitweiligen Unterbrechungen erneut als Freilichtbühne genutzt. Opern, Operetten, Theater, Kinder-Theater fanden vor allem im letzten Jahrzehnt großen Anklang. Seit geraumer Zeit gibt es zudem Pläne, das Amphitheater neu herzurichten, mehr Aufenthaltsqualität zu schaffen und die ursprünglich römische Struktur wiederherzustellen. Fördergelder für ein entsprechendes Vorhaben konnten jedoch bisher nicht gewonnen werden.

Sonnenanbeter*innen scheint das nicht zu stören. Sie nutzen die aktuell ausgewiesene Bühnenfläche für ein Sonnenbad.





Zeit für das Fazit der Reise

Der Tag war rundum gelungen. Es war ein toller Ausflug in die römische Geschichte. Verknüpfungslinien zwischen Einzelereignissen konnten hergestellt werden. Ein erstes Gesamtbild des Niedergermanischen Limes entstand.

Auch wenn nur zwei der 44 Fundorte des UNESCO-Welterbes aufgesucht werden konnten, bieten die beiden Fundplätze in Xanten doch den idealen Ausgangspunkt, um sich der „Nassen Grenze“ des römischen Imperiums zu nähern. Sowohl der APX wie der Fürstenberg sind archäologische Wunderplätze; Orte, an denen Geschichte lebendig wird.



Weitere Reisetipps

Folgeausflüge können etwa in die Rheinmetropole Köln gehen, die durch die Römer die höchsten Stadtrechte 50 n. Chr. erhielt und während der römischen Kaiserzeit noch Colonia Claudia Ara Agrippinensium (CCAA) hieß. Hier sind der frühere Stadthalterpalast und das Römisch-Germanische Museum genauso sehenswert wie die Überreste des Kastells Divitia-Deutz.

Ein weiteres ehemaliges Römerkastell finden Limes-Interessierte inmitten des heutigen Naturschutzgebietes Urdenbacher Kämpe zwischen Monheim und Düsseldorf. Der Gutshof Haus Bürgel birgt als Bau- und Bodendenkmal mit einer über 2.000-jährigen Geschichte ein thematisch passendes Museum.

An- und Abreise

Die ausgewählte Route vom LVR-Archäologischen Park Xanten zum Amphitheater Birten ist gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar.

Gäste, die von Wesel aus starten, nehmen vom Weseler Bahnhof den Bus X27 oder X28, der sie direkt zum Xantener Bahnhof bringt. Von hier aus sind es nur wenige hundert Meter zu Fuß, um den Parkeingang am LVR-RömerMuseum zu erreichen.

Die Rückreise kann wunderbar ab der Haltestelle Xanten Haus Lau begonnen werden, die sich nur fünf Gehminuten vom Amphitheater Birten entfernt befindet. Auch hier fahren die Busse X27 und X28.



Das Kleingedruckte

Eine Produktion des Tourismus NRW e.V. im Juli/August 2024 für Kulturkenner.de

Herzlichen Dank an Bianca Kühlborn und Lara Jendral, die die Aufnahmen im LVR-Archäologischen Park Xanten ermöglicht haben.



Konzept & Texte

Tourismus NRW e.V., Maximilian Hulisz

Fotos, Videos und Audios auf allen Folien

Tourismus NRW e.V., Maximilian Hulisz

Foto der Quintus Tricensimanus auf der Xantener Südsee (Folie 11)

Olaf Ostermann, LVR-Archäologischer Park Xanten