Die Stadt, die sich früher mit und durch Seide schön gemacht hat, versucht Ähnliches seit einiger Zeit mit Street Art. An mehreren Stellen sind beeindruckende Arbeiten entstanden. Einige haben das Krefelder Stadtmarketing und der Radclub ADFC auf einer Route versammelt. Grund genug für den Kulturkenner, sich das vom Fahrradsattel aus einmal anzusehen. Los geht's am Hauptbahnhof.
Gut 30 Kilometer gilt es auf einem Rundkurs mit kleinen Ausläufern zu absolvieren (Weitere Infos dazu am Ende). Hinein ins Thema geht es nach wenigen Minuten an der Königstraße 4. Case Maclaim hat hier in urbaner Parkplatzumgebung ein Mural geschaffen. Der Frankfurt zeigt eine sich nach oben drehende Hand. In der Gehörlosensprache bedeutet diese Geste "Heimat". Case Maclaim hat die Arbeit schon ähnlich in Wuppertal verwirklicht. Die Umgebung in Krefeld zeigt: Auch hier gäbe es noch Fassadenflächen zur weiteren Ausgestaltung.
Krefeld besitzt in weiten Bereichen eine historische Bausubstanz, die es zu entdecken lohnt. Die Radtour führt auf einer – jedenfalls an einem Freitagvormittag – ruhigen Strecke hindurch.
In Krefeld entwickelt sich derzeit einiges, auch durch bürgerschaftliches Engagement. So setzt sich der Verein Freischwimmer als "gemeinwohlorientierte Projekt- und Aktivitätenplattform" dafür ein, das hübsche historische Stadtbad aus dem Jahr 1890 zu erhalten und behutsam zu entwickeln – kreativ, integrativ und auf die Zukunft ausgerichtet soll es sein. Die Kunst am Zaun ist dafür ein gutes Aushängeschild, das zum Bremsen einlädt.
Und wo in der wirklich sehr grünen Stadt Krefeld mal nichts Blühendes wächst, malt man es eben auf. Eine schöne Betonwand entstand so an der Seyffardtstraße 7, gestaltet von Anat Ronen, Cuboliquido und Fabio Fedele. Zu genau diesen Blüten ....
macht sich diese Schnecke gerade auf den Weg. Beton ist geduldig, aber die Hoffnung ist da. Wie passend an einem Zentrum für Nuklearmedizin und Strahlentherapie hinter dieser laaaaangen Mauer.
Nanu? Eine Urban Art Installation in Regenbogenfarben à la Tobias Rehberger?
Nein, beim genaueren Hinsehen doch bloß Hightech. Die neu verlegte Glasfaserleitung für das große Krankenhaus.
Graffiti, Street Art, Kunst am Bau oder sonstige Formen der subtilen künstlerischen Intervention im öffentlichen Raums sind unterwegs in Krefeld wenig zu finden. Umso mehr fallen diese beiden Objekte ins Auge: eine lange verblasste Bildergalerie am Hochbunker am Deutschen Ring und das schnell vergängliche Kreidekunstwerk auf dem Asphalt vor der Krankenhauseinfahrt. Eine Eule voller Liebe?
Kurz vor dem Hochbunker hatten wir auf der Tannenstraße die Tänzerin beim fast fliegenden Sprung gesehen. Ihr Tanzpartner scheint noch nicht ganz so weit zu sein. Eine Arbeit der Krefelder Bühnenmalerin Julia Bethke alias JueLIEBE, realisiert wie viele andere Werke auf der Route bei der "Urban Art Gallery 2023".
Später am Tag kann man hinter dieser Mauer "echten Niederrheingin" testen, vorher bleibt nur der optische Genuss vor der Mauer. Hier an der Fürstenbergstraße 10 entstand beim "Kreffity Festival 2024" ein Gemeinschaftswerk des Düsseldorfer Künstlers Steffen Mumm alias Hoker One (die Arbeit links) mit dem Krefelder Duo Jaroslaw Masztalerz und Alex Weigandt alias TUBUKU.
Wenige Meter entfernt von diesem Mural wird es am westlichsten Punkt der Route nun grün und luftig. Es geht vorbei an einem Pferdehof und durch Schrebergartenkolonien mit Bänken für eine Pause. Wenige Hundert Meter weiter ...
... ist es nicht weniger Grün, dafür wieder mitten in der Stadt: Der Stadtgarten samt Musikpavillon neben dem Krefelder Landgericht.
Am Hannah-Arendt-Gymnasium ist gerade Schulschluss. Wochenendgetöse vor dem Fahrradständer. Direkt darüber nimmt sich dieser Kollege, was man bei dem Lärm jetzt braucht: "Chill-out". Wie passend, die riesige Arbeit der Kölner Illustratorin Gizem Erdem.
Bäum sind ja irgendwie auch Street Art – und perfekt zum Chillen.
Die Wälle bringen in Krefeld großzügiges Flair in die Stadt, hier kreuzt die Radroute den Westwall.
Von der historischen Bausubstanz Krefelds war vorhin schon mal die Rede. Hier ein besonderes Beispiel: die Villa Floh in der Friedrichstraße. "Im Übergangsstil zwischen Rokoko und Klassizismus 1766" errichtet, informiert ein Schild und weist auf die Fassadenverzierung, Balkongitter und Wappenkartusche hin, die aus der Bauzeit original erhalten sind. Der erste Besitzer war – typisch Krefeld – natürlich ein Seidenbaron aus der noch heute bekannten niederrheinischen Familie von der Leyen.
Hier trifft die recht hübsche auf die verlassene Bausubstanz. Ob die Street Art gegen Leerstand und Verwahrlosung was machen kann? Vielleicht. Aber diese Entwicklung braucht viel Zeit. Das passende Mural gibt's auf dem Dach: Hier an der Schneiderstraße 71 versucht die reitende Spraydose die Schnecke zur Höchstleistung zu motivieren. Urheber von "The Snail Rider" ist Alessandro Althaus alias Oldhaus aus Neuss.
Dieses Mural gehört zu den beeindruckendsten auf der Route. Die Geschichte dahinter ist es nicht weniger. Der Spanier Jabi Corte hat hier seine baskische Tante Arantxa und seinen Onkel Augustín verewigt, die im Jahr vor der Urban Art Gallery 2023 verstorben waren und nun aus dem All auf uns alle herunterblicken, umhüllt von Ginkgo-Blättern von dem Baum auf ihrem Grab. Der Titel des Werks direkt gegenüber der Mediothek in der Königstraße 192a: „Arantxa eta Agustín, beti gogoan“.
Das brutalistische Seidenweberhaus aus dem Jahr 1976 sollte ein Veranstaltungszentrum werden. Fast seit Beginn macht es der Stadt in ihrem Kern allerdings Bauchschmerzen. Als Fläche für Street Art eignet es sich aber im wahrsten Sinn hervorragend. Das große Mural schufen Anna Mrzyglod, Gregor Wosik und Jaroslaw Masztalerz von TUBUKU für das Festival "Silk City Gallery 2021". Rundherum gibt es einige Arbeiten zu entdecken, hier ein paar Beispiele:
Der Madrilene Eduardo Relero ironisiert mit "Last Exit" den Haupteingang.
Das Bienen-Mural von jueLIEBE links, die Krefelder Blumenstraße als "Blumenstraße BlackAndWhite" der Mexikanerin Luisa Estrada im Vordergrund.
Die Straßenmalerinnen Melina Berg aus dem Sauerland und Julie Kirk Purcell aus Kalifornien schufen den übergroßen Seidenspinner.
Cuboliquido aus Mailand schuf den herzensguten Roboter scheinbar für Postdienste.
Die letzte Arbeit vor einer längeren Durststrecke auf der Route. Gut die Hälfte der Strecke ist geschafft und die meisten Wandbilder sind gesehen. Wie gut, dass neben dem ultralangen Mural von Mr. Oreo 39 mit seinem "The Fresh Prince" (links), TUBUKU und Pout Spencer an der Elisabethkirche 42 ein Super-, ein Biomarkt und ein Discounter für Pausensnacks liegen.
Noch einmal gibt's Ruhe und gute Gesellschaft auf der Tour durchs Grün. Nach einer Pause mit Enten im von 1865 stammenden Schönhausenpark mit malerischer Villa geht es weiter durch den Sollbrüggenpark. Hier ist Krefeld wirklich schön – und entspannend!
Im östlichsten Stadtteil Uerdingen angekommen stoppt das Rad am Röttgen 46. Hier hat das Krefelder Kollektiv betont.es hohe und breite Mauern grafisch gestaltet, womit es ein "Zusammenspiel zwischen Architektur, Mensch und Umwelt schaffen" möchte. Also ruhig etwas Zeit nehmen und die Grafiken im Straßengrau und Verkehrslärm wirken lassen.
Die Street Art Route führt nicht nur auf gekennzeichneten Radwegen durch die Stadt. Auch im üblichen Verkehr, der heute übersichtlich ist. Ansehnlich ist jedenfalls die Hauswandgestaltung auf der Alten Krefelder Straße. Viel Fassadenschmuck und verschiedenste Farbtöne mischen das graue Einerlei auf.
Das Uerdinger Rheintor mahnt an die Hochwassergefahr für die einst selbstständige Stadt Uerdingen. Hier am östlichsten Punkt der Radroute überrascht das schmucke barocke Uerdinger Rathaus von 1725 und die nette Altstadt neben Grünflächen, ...
...dem Rhine Side - ein "urbaner Streetart-Biergarten mit Aktionsfläche am Rheinufer" - und dem beeindruckenden Rhein-Panorama mit Landschafts- und Industriekulisse.
Zum letzten Päuschen im Grünen auf dem Weg zurück zum Hauptbahnhof bietet sich unbedingt das Museum Burg Linn mit seinem bezaubernden Park an. Daneben liegt noch das Deutsche Textilmuseum.
Die "Krefelder Promenade" soll als Radschnellweg mal Uerdingen mit dem Hauptbahnhof verbinden. Ein paar Kilometer sind schon fertig und verleiten zum Gas bzw. Muskel geben und zum Rennen gegen die parallel laufende Straßenbahn. Nächstes Mural: ich komme!
Eine Gemeinschaftswand an der viel befahrenen Oppumer Straße in Höhe des Großmarkts versammelt alle Street Artists der "Urban Art Gallery 2023".
Und noch einmal geht's hinaus in gefährliche und lebensferne Welten mitten in Krefelds Innenstadt. Auf dem Hochbunker an der Freiligrathstraße haben die Krefelder Jaroslaw Masztalerz und Alex Weigandt von TUBUKU zusammen mit dem Hannoveraner Patrik Wolters alias BeNeR1 ein beeindruckendes Mural verwirklicht. An der anderen Bunkerwand gibt es noch (nicht im Bild) Frederike Fredda Wouters "Protection" zu sehen. Wie lange noch? Unklar. Es liegen schon Be- und Umbaupläne für das private Bunkergelände vor.
Im Schümli an der Hardenbergstraße 19 war mal mehr los. Daher fällt der Beobachter beim Fotografieren sofort auf. "Wollen Sie das wieder aufmachen?" fragt eine ältere Dame. "Nein!", ist die etwas zu forsche, nach "Um Himmels Willen" klingende Antwort. "Ich will nur das Kunstwerk sehen." "Wir haben das schönste von ganz Krefeld hier bekommen", entgegnet wiederum die Passantin sehr zufrieden lächelnd. "Die haben eine ganze Woche gebraucht, ich weiß aber nicht mehr wie." "Mit einem Steiger, das hat einer alleine gemacht, die ganze Woche. Ohne Schablone!", schaltet sich ein zweiter Passant ein und es entwickelt sich ein Spontanplausch über Street Art, Rohrbrüche im Keller und die Wahrscheinlichkeit rosiger Kneipenzeiten an dieser Ecke. "Die Lichtbringerin" von Ruben Poncia aus Den Haag aber hält die Flagge der Hoffnung hoch und reißt das ganze Viertel mit hinauf im Namen von "Hope & Liberty". Hoffentlich klappt's.
Die Tour ist geschafft! Aber weil der Zug noch lange nicht abfährt, macht das Rad noch einen Schlenker zur Ritterstraße 301. Während der kniffligen Koordination zwischen Routen-Flyer, Straßenverkehr und Handy-Navigation war das Rad zu Beginn der Tour irgendwie an den "Heads" von Hoker One und Yekis aus Düsseldorf vorbeigefahren. Und so positiv wie die "Heads" ist auch das Fazit der Tour. Gut zu fahren, kurzweilig und Krefeld wohl umfassend und von seinen schönsten Seiten zeigend. Mit einem "Krefelder Perspektivwechsel" begründet das Stadtmarketing seine Hinwendung zur Street Art, um ein neues Stadtbewusstsein zu wecken. Das könnte gelungen sein. Diese Multimediareportage zeigt bei weitem nicht alle Street Art Werke dieser Stadt. Krefeld Hbf ist mit Regional-Express-Linien gut an das Ruhrgebiet, die Rhein-Ruhr-Schiene und Mönchengladbach/Köln angebunden. Zweimal täglich verkehrt ein ICE (der in Krefeld übrigens auch gebaut und gewartet wird). Nachhaltige Restaurants gibt es einige in der Stadt, etwa Die Fette Beete, das Verbene oder das friedrichkrefeld (Stand Mitte 2025). Die kulturtouristischen Must Sees der Stadt sind das Kaiser Wilhelm Museum mit seiner überzeugenden Sammlung sowie die Zeugnisse des Stararchitekten, Bauhaus-Direktors und International-Style-Begründers Ludwig Mies van der Rohe mit den Museen Haus Lange und Haus Esters sowie seinem einzigen Fabrikgebäude (Verseidag), dem heutigen Mies van der Rohe Business Park. Gute Fahrt!
Das Kleingedruckte
Eine Produktion des Tourismus NRW e.V. im Mai 2025 für Kulturkenner.de
Ein Dank geht an alle beteiligten Street Art Künstlerinnen und Künstler sowie an das Stadtmarketing Krefeld.
Text, Bild und Bewegtbild auf allen Seiten
Tourismus NRW e.V., Jens Nieweg
Konzept
Tourismus NRW e.V., Jens Nieweg und Maximilian Hulisz